2024 seid ihr mit dem BNE-Zertifikat ausgezeichnet worden. Wie war euer Weg in die BNE?
Das Grüne Klassenzimmer im Volkspark Potsdam ist aus der Bundesgartenschau 2001 heraus entstanden. Das damalige Angebot für Schulklassen wurde als festes Angebot über die vergangenen 25 Jahre weiterentwickelt zu einem der größten Anbieter für Umweltbildung in Potsdam mit jährlich fast 5.000 Schüler*innen. Bildung für Nachhaltige Entwicklung betreiben wir eigentlich schon ganz lange. So war es letztendlich nur konsequent, dies auch beim Namen zu nennen und in den Fokus zu rücken. Mittlerweile sind unsere Angebote aus diesem Bereich ein sehr gern gebuchter Themenschwerpunkt bei uns.
Ihr habt mit dem Grünen Klassenzimmer im Volkspark Potsdam einen sehr besonderen und naturnahen Lernort. Wie bindet ihr die Gegebenheiten vor Ort in eure Bildungsangebote ein und welche Vorzüge hat das für eure Arbeit und die Lernerfahrungen der Kinder?
Unsere Spielorte befinden sich im nördlichen Teil des Volksparks Potsdam. Durch die vielfältigen Lebensräume auf kleinem Raum können wir ein breites Themenspektrum aus der Natur- und Umweltbildung abdecken. Zu unseren Orten gehören unter anderem eine Streuobstwiese, ein Halbtrockenrasen, ein Eichenwald oder ein großer Gemüse- und Kräutergarten. Wenn Kinder heute zu uns kommen, suchen sie übrigens immer noch gerne den Klassenraum und sind dann erstaunt, dass es den als Haus oder Zimmer gar nicht gibt. Unsere Angebote finden ausschließlich draußen statt. Das hat viele Vor-, aber auch ein paar Nachteile. Bei uns gibt es ausschließlich „echte Natur“ zum Anfassen, Ausprobieren und Experimentieren. Leider sorgt die Trockenheit im Sommer dafür, dass immer wieder Bereiche des Parks aufgrund von Astbruchgefahr für uns nicht nutzbar sind. Und bei Regen oder schlechtem Wetter muss man entsprechend wetterfest sein. Nicht nur wir Pädagog*innen, sondern auch die Kinder und Lehrkräfte. Aber wie so oft gibt es zwei Seiten: Wann springen Kinder heute sonst noch ausgelassen durch den Regen?
Was sind Themen und Methoden, mit denen ihr die Kinder und Jugendlichen besonders gut erreichen könnt?
Allein von den örtlichen Gegebenheiten her drehen sich die meisten Angebote um Pflanzen und Tiere aus der Stadtnatur des Parks. Viele Themen kennen die Kinder aus dem Schulunterricht - bei uns gibt es sie zum Anfassen. Und selbst rede-lastige Themen, wie zum Beispiel Gedanken über die eigene Zukunft, wirken draußen im Park nochmal ganz anders. Einige kennen es bestimmt selbst: Die besten Ideen entstehen beim Spazierengehen in Bewegung! Methodisch ist das zentrale Element immer das eigene Erleben und Entdecken durch die Kinder. Das heißt, je nach Alter kartieren und vermessen wir zum Beispiel den Lebensraum verschiedener Insekten, verarbeiten Wildkräuter zu einer Heilsalbe, werfen eingekleidet wie ein Imker einen Blick in eine Bienenbeute oder bauen eine Murmelbahn aus Naturmaterialien.
In eurem zertifizierten Angebot „Visionswerkstatt Klima“ beschäftigen sich die Schüler*innen damit, in welcher Welt sie zukünftig leben wollen und was sie selbst dafür tun können. Welche Visionen haben die Jugendlichen vom „Morgen“ und wie können wir sie als BNE-Anbieter*innen darin unterstützen, tatsächlich ins Handeln zu kommen?
Die Zukunftswünsche der jungen Menschen erscheinen auf den ersten Blick sehr einfach oder auch materiell. Wenn wir gleich zu Beginn nach dem einen großen Wunsch für die Zukunft fragen, kommen neben „Standardantworten“ wie Glück, Gesundheit und Zufriedenheit auch immer Sportautos, die neuesten Spielekonsolen und das halbe Jahr Urlaub in der Karibik. Als BNE-Anbieter kommen wir ins Spiel, wenn es darum geht, die eigentliche Vision hinter dem Wunsch herauszukitzeln: Wir bringen die jungen Menschen in Bewegung und schicken sie auf Spurensuche durch den Park. Sie sollen herausfinden, welche Materialien, Gerüche und Geräusche sie gerne in ihre Welt von Morgen mitnehmen würden. So kommen sie schnell zu der Erkenntnis, dass eine Welt voller Autobahnen, Fabriken und Flugverkehr am Himmel nicht ihre eigentliche Zukunftsvision ist. Durch das Konzept des ökologischen Handabdrucks nehmen die Schüler*innen am Ende ganz konkrete Handlungsschritte mit nach Hause.
Wie entwickelt ihr eure Angebote weiter?
Unser Team ist klein, aber durch unsere unterschiedlichen Backgrounds von Wildnispädagog*innen, Vogelkundler*innen, Kräuterexpert*innen bis zu Theaterpädagog*innen bringen wir ganz unterschiedliche Ideen, Methoden und Sichtweisen in die Angebote ein. Jede und jeder hinterlässt von der Konzipierung bis zur Durchführung ihre/seine eigene Handschrift. Durch regelmäßigen Austausch und Reflexionsrunden überarbeiten wir stetig unsere Methoden und Angebote. Wenn es der Belegungsplan erlaubt, führen wir Programme zu zweit durch und haben so die Möglichkeit, voneinander in der Praxis zu lernen. Unsere Konzepte sind soweit ausgearbeitet, dass sie die Zeit, die wir für die Durchführung haben, erst einmal ausfüllen. Trotzdem nehmen auch die Kinder und Jugendlichen direkt wie indirekt Einfluss auf den Ablauf. Als ausgebildete Pädagog*innen können wir im Team flexibel auf die Bedürfnisse einer Gruppe reagieren und bei Bedarf bspw. etwas mehr Bewegung in das Programm einbauen. Die Visionswerkstatt ist sicherlich das spannendste Angebot. Die jungen Menschen geben durch ihre ganz persönliche Zukunftsvision den Themen und Diskussionen eine eigene Richtung. Keine Werkstatt gleicht der anderen.
Welche Erfahrungen konntet ihr aus dem Prozess der Zertifizierung mitnehmen?
Der Antrag zur Zertifizierung hat uns gezwungen, uns nochmal sehr intensiv mit der eigenen Arbeit und einem Angebot auseinander zu setzen. Es war eine Gelegenheit zur Reflexion und gleichzeitig aber auch zur Weiterentwicklung, die im Alltag oft hinten abfällt. Unser Antrag wurde auch von Kolleg*innen im Team des Volksparks gelesen, die zwar das Grüne Klassenzimmer gut kennen, das konkrete Angebot hingegen nicht. Ihre Verständnisschwierigkeiten und Anregungen führten auch nochmal zu einer Präzisierung, die sehr wertvoll war. Das Schöne an der Zertifizierung ist, dass sie mit der Überreichung der Urkunde nicht abgeschlossen ist. Schon im Bewerbungsprozess haben wir in die Zukunft geblickt, zukünftige Handlungsziele festgelegt und uns damit beschäftigt, welche Weiterentwicklung wir als BNE-Anbieter nehmen möchten. Mit der Urkunde haben wir quasi einen Arbeitsauftrag überreicht bekommen.
Was sind Themen, mit denen ihr Schulen zukünftig erreichen wollt?
Unsere Themen richten sich zum Großteil an den Lehrplänen aus, so dass wir für die Lehrkräfte eine praktische Ergänzung zu ihrem Unterricht sind. Wir sind derzeit besonders aktiv bei Angeboten für die Grundschule, würden aber gerne noch mehr weiterführende Schulen ansprechen. Wir haben z.B. einen Forscherkoffer zusammengestellt, ausgestattet mit verschiedensten Mess- und Analyseinstrumenten, mit denen die unterschiedlichen Ökosysteme erforscht werden können. Und wir sind auf der Suche nach Schul-AGs, mit denen wir über einen längeren Zeitraum an Themen wie bspw. Künstliche Intelligenz in der Natur arbeiten können.
Den Bereich BNE möchten wir gerne weiter festigen. Wir wollen hier zunächst die bestehenden Programme qualitativ verfeinern, bevor wir das Angebot ausbauen. Unsere Stärken - die Bewahrung der Artenvielfalt, der Umgang mit Ressourcen, nachhaltige und gesunde Ernährung und Klimaschutz -lassen sich bei uns im Park ganz wunderbar in Szene setzen. Im Hintergrund geht es uns aber auch darum, den Schüler*innen einen schönen Moment draußen in der Natur zu ermöglichen. Viele Kinder bewegen sich viel zu selten in der Natur und sind dann ganz erstaunt, wie der Boden unter den nackten Füßen kitzelt oder was man alles in der Natur essen kann. Da ist manchmal weniger mehr und das konkrete Thema manchmal zweitrangig.
Habt ihr Tipps für Akteur*innen, die noch ganz am Anfang stehen?
Mir fallen sofort zwei Dinge ein: Keine Angst vor großen Namen haben! Und weniger ist manchmal mehr! Bildung für Nachhaltige Entwicklung klingt groß und komplex – und ist es auch. Aber ich kann und muss das Thema nicht in allen seinen Facetten anpacken. Wenn ich mich auf einzelne, für mich und meine Arbeitsstätte passende Aspekte, konzentriere, ist der Anfang schon gemacht. Und ganz oft – so ging es zumindest uns – wird schon mehr Bildung für Nachhaltige Entwicklung betrieben als man denkt und es trägt einfach (noch) nicht den Namen. Im Angebot selbst ist es gar nicht notwendig, die komplette Methodenvielfalt einzubringen und die Teilnehmenden damit am Ende vielleicht sogar zu erschlagen. Erkenntnisse und Gedanken brauchen Zeit und Raum zum Wirken. Wenn ich am Ende eines Angebots die Schüler*innen nach ihrem Highlight frage, erhalte ich ganz oft die Antwort: das freie Spiel.
Vielen Dank für das Interview!
Kontakt: S.Eggertvolkspark-potsdamde
Website: https://volkspark-potsdam.de/angebote/umweltbildung-im-gruenen-klassenzimmer-neu/
Instagram: https://www.instagram.com/volksparkpotsdam/
Fotos: Silke Eggert


